In dieser Lernumgebung geht es um das infinitesimale charakteristische Dreieck von Leibniz mit den Differenzialen dx, dy und ds. [br]dx und dy sind achsenparallel und ds definiert die aktuelle Tangentenrichtung.[br]Für Leibniz sind diese Differenziale "kleiner als jede vorgegebene Größe" (Sonar S. 415), Leibniz spricht auch von "unvergleichlich klein", aber eben nicht Null. Leibniz hat dazu einen Kalkül geschaffen, "so dass das Rechnen mit den Symbolen fast von selbst funktioniert", insbesondere erlaubt Leibniz das Rechnen mit den infinitesimalen Größen dx und dy wie mit reellen Zahlen (Sonar, S. 406). Dies erweist sich bei der Summenregel, der Kettenregel, der Ableitung der Umkehrfunktion, der Bogenlänge und dem Integral als sehr praktisch. Sein Kalkül hatte den Zweck, "die Schwierigkeiten des Entdeckens zu erleichtern" (Walter, S. 235).[br]Vielen zeitgenössischen Mathematikern waren die infinitesimal kleinen Größen aber suspekt und sie konnten auch zu Fehlschlüssen führen, wenn man nicht geschickt damit umging. [br][br]"Das Differential (und nicht die Ableitung) war der Grundbegriff des Leibnizschen [i]calculus differentialis[/i], während wir heute das Differential mit Hilfe der Ableitung definieren" (Walter, S. 245).[br]In dem Sinne setzen wir in dieser Lernumgebung auch an und gehen von einer differenzierbaren Funktion f samt Tangente in P aus.[br]Es geht darum, das infinitesimal Kleine adäquat zu behandeln und ggf. sichtbar zu machen. Entscheidend dabei ist der Gedanke, dass zwar dx und dy beliebig klein sein können, ihr Verhältnis dy/dx aber nicht, sondern dass dies konstant bleibt (solange wir P festhalten).[br][br]Das infinitesimal kleine charakteristische Dreieck können wir mit der Simulation einer Infinitesimal-Lupe (Elschenbroich) sichtbar machen. Das ist ein Gedanke und ein Werkzeug aus der Nonstandard-Analysis.[br]Weiterhin können wir zum infiniten charakteristischen Dreieck ein vergrößertes, ähnliches Dreieck definieren entlang der Tangente (Lambacher-Schweizer S. 102, Courant S. 98). Dessen Größe können wir dann mit dem Schieberegler Δx variieren. Zu diesem vergrößerten charakteristischen Dreieck können wir auch das zu Δx gehörige Differenzenquotienten-Dreieck mit den Katheten Δx und Δy einblenden und studieren, wie sich dieses für immer kleinere Δx schließlich dem charakteristischen Dreieck der Differenziale immer mehr annähert. Dazu nutzen wir das digitale Werkzeug Funktionenlupe (Elschenbroich, Seebach & Schmidt). .[br][br]Zwei weitere zum infiniten charakteristischen Dreieck ähnliche Dreiecke erhalten wir, indem wir entweder mit y, der Tangente und der Subtangente ein Dreieck bilden oder mit y, der Normalen und der Subnormalen.[br][br]Ein weiteres zum charakteristischen Dreieck ähnliches Dreieck erhalten wir, indem wir es auf ein Dreieck mit der waagerechten Kathete der Länge 1 durch den Ursprung O(0; 0) und A(-1; 0), dem sogenannten Pol, abbilden. Dieses Pol-Dreieck ist für graphische Verfahren von besonderer Bedeutung: [br][list][*]Konstruieren wir es mit Hilfe einer Parallelen zur Tangente, so können wir es für die graphische Differenziation nutzen, weil die y-Kathete dann den Wert der Tangentensteigung (mit Vorzeichen) angibt.[/*][*]Konstruieren wir es mit Hilfe einer waagerechten Parallelen zur x-Achse durch P, so können wir es für die graphische Integration (Stammfunktionskurve) nutzen, weil die Hypotenusen-Steigung dann die lokale Steigung der Stammfunktion sein muss. Diese Verfahren der graphischen Differentiation und Integration sind wohlbekannt (Strubecker & Steinbacher S. 54f), aber heute fast vergessen. [/*][/list]Auf diese Weise wurde es möglich, das infinitesimale Dreieck der Differenziale und den Differenzialquotienten durch finite Dreiecke mit denselben Seitenverhältnissen zu visualisieren.[br]Historische mechanische Geräte zur graphischen Differentiation und Integration sind Differentiographen und Integraphen (Elschenbroich ...), die mit einem Parallelgestänge und einem Schneidenrad arbeiteten. Mit digitalen Werkzeugen lassen sie sich heute auch elegant aus den beiden Ansätzen zu Poldreieck konstruieren (Elschenbroich ... ). Das Poldreieck ist gewissermaßen das graphische Äquivalent zum Schneidenrad als kinetisches Objekt.
[list][*]Siehe Sonar (2011): 3000 Jahre Analysis, S. 409, 411[br][/*][*]Siehe Walter (2004): Analysis 1. 2. Auflage S. 234[/*][*]Sekanten-Dreieck mit Differenzialen: Siehe Lambacher-Schweizer (1950): Analysis, S. 102[br]Siehe Courant (1971): Vorlesungen über Differential- und Integralrechnung 1. Vierte Auflage S.98[/*][*]Charakteristisches Pol-Dreieck: Siehe Strubecker & Steinbacher (1966): Graphische und mechanische Methoden der angewandten Mathematik, S. 54f. In: Behnke, Bertram & Sauer: Grundzüge der Mathematik IV. Praktische Methoden und Anwendungen der Mathematik.[br][/*][/list]