In den vorhergehenden Kapiteln wurden Steigungen von Funktionsgraphen erst mit Hilfe der Sekantensteigung als durchschnittliche oder mittlere Steigung graphisch bestimmt und auch berechnet. Dann konnte eine genauere Steigung in einem Punkt graphisch als Tangentensteigung bestimmt werden. [br]Hier soll nun die [i]Momentane Steigung[/i] oder [i]Steigung in einem Punkt[/i] auch [b][i]berechnet[/i][/b] werden.[br][br]Dazu betrachten wir als Funktionsgraph einfach eine Parabel: [math]f\left(x\right)=x^2[/math]. Auf der Parabel sind ein Punkt [math]\mathbf{A}[/math] und ein Punkt [math]\mathbf{B}[/math]. Die x-Koordinate des Punktes [math]\mathbf{B}[/math] ist genau um den Betrag [math]h[/math] größer als die des Punktes [math]\mathbf{A}[/math]. Wenn nun [math]h[/math] kleiner wird, dann kommt der Punkt [math]\mathbf{B}[/math] dem Punkt [math]\mathbf{A}[/math] also immer näher. Das kann man in der Geogebra-Animation unten ausprobieren: Bis aus der Sekante eine Tangente wird.
Warum setzen wir nicht sofort h gleich Null, wenn wir eine Tangentensteigung berechnen wollen? Dazu können wir uns den Differenzenquotienten für diese Situation anschauen: Sie Sekante geht durch die Punkte [math]A\left(x_A|f\left(x_A\right)\right)[/math] und [math]\mathbf{B}\left(x_A+h|f\left(x_A+h\right)\right)[/math] und die Funktion heißt [math]f\left(x\right)=x^2[/math] (siehe Abbildung).[br]Damit kann man den folgenden Differenzenquotienten aufstellen:[br][math]m=\frac{f\left(x_A+h\right)-f\left(x_A\right)}{\left(x_A+h\right)-x_A}=\frac{\left(x_A+h\right)^2-x_A^2}{h}[/math][br]Wenn wir jetzt einfach [math]h=0[/math] setzen, dann müssten wir [i][b]durch Null teilen[/b][/i]. Und das ist in der Mathematik absolut verboten (siehe Grundlagen: [i][url=https://www.geogebra.org/m/zkz8s5re]Warum man nicht durch Null teilen darf[/url][/i]).
Wenn man h nicht gleich Null setzen darf, dann kann man es zumindest sehr, sehr klein machen. Das macht man mit Hilfe eines [i]Grenzüberganges[/i]. In der Mathematik schreibt man das mit dem [i]Limes[/i] (Lateinisch für Grenze):[br]Betrachten wir nun die Funktion [math]f(x)=x^2[/math] an der Stelle [math]x=1,5[/math] (siehe Animation oben):[br]Dann hat unser Punkt [math]\mathbf{A}[/math] folgende Koordinaten: [math]\mathbf{A}(1,5\,|\,f(1,5))=\mathbf{A}(1,5\,|\,1,5^2)=\mathbf{A}(1\,|\,2,25)[/math]. [br]Der Punkt [math]\mathbf{B}[/math] hat dann die Koordinaten [math]\mathbf{B}(1,5+h\,|\,f(1,5+h))=\mathbf{B}(1,5+h\,|\,(1,5+h)^2)[/math]. [br]Jetzt kommt der Trick mit dem [i]Limes[/i]: Wir schreiben den Differenzenquotienten auf und lassen dann dass [math]h[/math] immer kleiner werden, bis es so gut wie Null ist. Das schreibt man mathematisch so: [br][math]\lim_{h\to 0}\frac{f\left(x_A\right)-f\left(x_B\right)}{h}=[/math] [math]\lim_{h\to 0}\frac{\left(1,5+h\right)^2-1,5^2}{h}[/math][math]=\lim_{h\to 0}\frac{1,5^2+2\cdot1,5\cdot h+h^2-1,5^2}{h}[/math] [math]=\lim_{h\to 0}\frac{2\cdot 1,5\cdot h+h^2}{h}=\lim_{h\to 0}\frac{h\cdot\left(3+h\right)}{h}[/math] [br][math] =\lim_{h\to 0} 3 + h =\underline{\underline{ 3}}[/math] [br][br]Die Steigung der Tangente an dem Punkt [math]\mathbf{A}\left(1,5\,|\,2,25\right)[/math] ist also genau gleich [math]3[/math].[br][br]Wenn Mathematiker die Tangentensteigung einer Funktion [math]f(x)[/math] meinen, dann machen sie einen Strich an den Funktionsnamen. Man schreibt daher [math]f'\left(1,5\right)=3[/math]. In der Mathematik nennt man die Tangentensteigung einer Funktion auch [i]Ableitung[/i]. Man sagt, [math]f'\left(1,5\right)[/math] ist [b]die [color=#980000]Ableitung[/color] der Funktion[/b] [math]f\left(x\right)[/math] [b]an der Stelle[/b] [math]x=1,5[/math].[br]
Die oben durchgeführte Rechnung ist mit der Hand ohne weiteres möglich, aber wenn die Funktion nicht mehr [math]f(x)=x^2[/math] heißt, sondern zum Beispiel [math]f(x)=x^5[/math], dann wird die Berechnung schon sehr mühsam und vor allem lang.[br][br]Hier soll die Berechnung am Beispiel des CAS-Taschenrechners HP-Prime gezeigt werden:[br]CAS-Taschenrechner haben in der Regel eine Funktion für das Berechnen von Grenzwerten. Beim HP-Prime findet man diese Funktion zum Beispiel, indem man die "Werkzeugkasten-Taste" drückt.
Auf dem Karteireiter "CAS" wählt man dann die 2 (für Analysis) und dann die 3 (für Grenzwert). Dann erscheint folgendes in der Eingabezeile:
Hier gibt man nun alles so in die vorgegebenen Eingabe-Kästchen ein, wie es oben in der Formel steht: [math]\lim_{h\to 0} \left(\frac{f(x+h)-f(x)}{h}\right)[/math]. Natürlich geht das nur, wenn die Funktionsgleichung vorher als [math]f(x)[/math] abgespeichert wurde.[br]Nun kann man momentane Steigungen bei beliebigem [math]x[/math] ausrechnen, nehmen wir zum Beispiel [math]x=10[/math]:[br][math]\lim_{h\to 0} \frac{f(10+h)-f(10)}{h}[/math][br]Wenn die Funktion immer noch [math]f(x)=x^2[/math] ist, dann ist das Ergebnis: [math]f'(10)=20[/math].[br]Probiere es auch mit anderen Zahlen aus.
Winzig kleine Größen werden in der Mathematik [b]Differentiale[/b] genannt. Wenn vor den Differenzenquotienten ein [math]\lim_{h\to 0}[/math] geschrieben wird, dann stehen im Zähler und im Nenner des Bruches nur noch winzig kleine Werte, denn das [math]h[/math] soll ja ganz klein werden. Daher nennt man diesen Quotienten mit dem Limes den[br][br][color=#980000][i][b]Differentialquotienten[/b][/i][/color]: [math]f'(x)=\lim_{h\to 0}\frac{f(x+h)-f(x)}{h}[/math][br][br]Differenziale werden mit einem [math]d[/math] gekennzeichnet. Daher werden Differentialquotienten besonders in der Physik auch gerne so geschrieben: [math]f'(x)=\lim_{h\to 0}\frac{f(x+h)-f(x)}{h}=\underline{\underline{ \frac {df(x)}{dx}}}[/math] .
Man kann Mit dem Differentialquotienten nicht nur für jede Stelle [math]x[/math] die Steigungen der Funktion [math]f(x)=x^2[/math] berechnen, sondern man kann auch jede andere Funktionsgleichung als [math]f(x)[/math] wählen. Selbstverständlich muss diese Gleichung auch nicht unbedingt [math]f(x)[/math] heißen. Probiere es mit anderen Funktionsgleichungen aus und vergleiche die so berechneten Steigungen an unterschiedlichen Stellen [math]x[/math] mit dem Funktionsgraphen der jeweiligen Funktion.