Kongruenz und Kongruenzsätze (Dokumentation)
Zwei Figuren heißen kongruent zueinander, wenn sie zur Deckungsgleichheit gebracht werden können. In der Schule werden Kongruenz und Kongruenzsätze nur recht kurz thematisiert und es werden vor allem meist nur Kongruenzsätze für Dreiecke eingeführt.[br]Im Folgenden möchte ich mich mit den Inhalten, die in der Schule vermittelt werden beschäftigen und auch darauf eingehen, wie man mithilfe digitaler Werkzeuge im Unterricht die Kongruenzsätze für Vierecke behandeln und den Mathematikunterricht interaktiver machen kann.
[justify]Zunächst soll es um die Inhalte, die explizit im Bildungsplan stehen, gehen.[br]Die Schülerinnen und Schüler sollen in der Unterrichtseinheit zum Thema "Kongruenz und Kongruenzsätze" lernen, Figuren auf Kongruenz zu überprüfen und einzelne Kongruenzsätze in ersten geometrischen Beweisen anwenden können. Zentraler Aspekt der Lerneinheit ist also auch eine Einführung in formale Beweise und in allgemeine Beweisstrukturen. [br]Deshalb ist das Thema "Kongruenz und Kongruenzsätze" im Bildungsplan in Baden-Württemberg auch erst in den Klassenstufen 9/10 verankert, da die Schülerinnen und Schüler in diesem Alter in der Lage sind, formale Beweise nachzuvollziehen und diese gegebenenfalls auch selber durchführen können.[br][br]Als Voraussetzung zu dieser Unterrichtssequenz lernen die Schülerinnen und Schüler in den Klassenstufen zuvor grundlegende Eigenschaften geometrischer Objekte kennen, Üben sich im Umgang mit Geodreieck und Lineal und lernen, Dreiecke zu konstruieren und Konstruktionsbeschreibungen zu erarbeiten. Zudem werden in den Klassenstufen 7 und 8 auch schon einige geometrische Sätze, wie zum Beispiel der Nebenwinkelsatz, der "Satz des Thales" oder der Satz des gleichschenkligen Dreiecks eingeführt, sodass die Schülerinnen und Schüler bereits mit mathematischen Sätzen vertraut sind. [br][br][u][size=150]Definitonen von Kongruenz[/size][/u][br][br]Es gibt zwei Definitonen für den Begriff Kongruenz: [/justify][list=1][*]Zwei Figuren heißen kongruent zueinander oder deckungsgleich, wenn man eine der Figuren so bewegen kann, dass sie mit der anderen zur Deckung kommt. (nach Cukrowicz und Zimmermann 2000, MatheNetz 7N, S.107)[/*][*]Zwei Figuren A und B sind kongruent (deckungsgleich) zueinander, wenn sie in der Form und in den Maßen übereinstimmen. Zueinander kongruente Figuren passen genau aufeinander. (Griesel u. a. 2004, Mathematik heute 3 – Baden-Württemberg, S.76)[/*][/list][justify]Um im Sinn der ersten Definition zu überprüfen, ob zwei Figuren kongruent sind, können die Figuren so gespiegelt, gedreht oder verschoben werden, dass sie deckungsgleich aufeinander liegen. Das Überprüfen der Kongruenz ist also ein dynamischer Prozess und kann gut durch haptisches Arbeiten durchgeführt werden. Zum Beispiel können die Schülerinnen und Schüler mit ausgeschnittenen Pappdreiecken an diese Definiton der Kongruenz herangeführt werden und intuitiv prüfen, ob die Dreiecke so bewegt werden können, ob sie deckungsgleich sind. [br]Laut der zweiten Definition sind zwei Figuren kongruent, wenn alle entsprechenden Seiten gleich lang sind und alle entsprechenden Winkel gleich weit sind. Um zu überprüfen, ob zwei Figuren kongruent sind, können also alle Seitenlängen und Winkelweiten gemessen werden.[br][br]Aufgabenstellung zu Definition 2:[br][br]Überprüfe, ob die Dreiecke A und B in Abb. 1 kongruent zueinander sind. Miss dazu zuerst alle Winkel und Seiten der Dreiecke.[br]Vergleiche dann, ob alle entsprechenden Winkel gleich groß und alle entsprechenden Seiten gleich lang sind.[/justify]
[u][size=150]Kongruenzsätze für Dreiecke und Kongruenzbeweise[/size][/u][br][br]Nachdem der Begriff "Kongruenz" in der Schule eingeführt wurde und mit einigen Übungsaufgaben bei den Schülerinnen und Schülern gefestigt wurde, werden in der Schule vier Kongruenzsätze für Dreiecke eingeführt:[br][list][*]sss[/*][*]sws[/*][*]wsw[/*][*]Ssw[/*][/list]Mithilfe der Kongruenzsätze für Dreiecke kann überprüft werden, ob ein Dreieck aus gegebenen Angaben eindeutig konstruierbar ist. Hat man beispielsweise drei Seitenlängen eines Dreiecks gegeben, so kann man aus dem Kongruenzsatz sss schließen, dass die Konstruktion des Dreiecks immer eindeutig ist.[br][br]Aufbauend zu den Kongruenzsätzen für Dreiecke werden in der Schule Kongruenzbeweise eingeführt und von den Schülerinnen und Schülern durchgeführt.[br]Bei diesem Beweistyp werden in einer Figur verschiedene Dreiecke, deren Kongruenz gezeigt werden kann, gesucht. Damit kann auf gleich weite Winkel oder gleich lange Strecken geschlossen werden, womit die Behauptung gezeigt wird.[br][br]Beispiel:[br]Von den Ecken eines Quadrats ABCD werden im gleichen Umlaufsinn gleiche Streckenlängen x abgetragen. [br]Behauptung: Das Viereck A'B'C'D' ist auch ein Quadrat.[br]Beweis: Die Dreiecke AA'D', A'BB', B'CC' und C'DD' sind alle nach dem Kongruenzsatz sws paarweise kongruent zueinander. Somit sind alle Seitenlängen des Vierecks A'B'C'D' gleich. [br]Über den Innenwinkelsummensatz für Dreiecke lässt sich zudem begründen, dass alle Winkelweiten des Vierecks A'B'C'D' 90° betragen. [br]Somit ist das enstandene Viereck tatsächlich ein Quadrat und die Behauptung wurde gezeigt.
Kongruenzbeweise eignen sich gut für einen Einstieg in das formale Beweisen, denn:[br][list][*]Als Beweismittel dienen vor allem die Kongruenzsätze für Dreiecke und wenige weitere Sätze (wie in diesem Beispiel der Innenwinkelsummensatz von Dreiecken). Daher haben die Schülerinnen und Schüler eine überschaubare Menge an Beweismitteln zur Verfügung.[/*][*]Es lässt sich klar bestimmen, ob zwei Dreiecke kongruent zueinander sind. Somit sind alle Argumente leicht nachvollziehbar.[/*][*]Die Beweisidee lässt sich leicht und klar verbalisieren, somit können die Schülerinnen und Schüler ihre Ergebnisse gut präsentieren.[/*][/list]
Im Allgemeinen sind für eine eindeutige Konstruktion eines Vierecks fünf geeignete Angaben nötig. Die Kongruenzsätze für Vierecke lassen sich aus den Kongreunzsätzen für Dreiecke herleiten.[br]Man kann zum Beispiel zeigen, dass "swsws" ein Kongruenzsatz für Vierecke ist. Gegeben seien dazu die Seiten a,b und c und die Winkel [math]\beta[/math] und [math]\gamma[/math].
In Abb. 3 wird veranschaulicht, dass das Dreieck ABC nach dem Kongruenzsatz sws eindeutig konstruierbar ist und somit der Punkt A in Abhängigkeit von B und C eindeutig konstruiert werden kann. Analog kann auch der Punkt D eindeutig in Abhängigkeit von B und C konstruiert werden, somit ergibt sich ein eindeutiges Viereck. [br]Hat man also drei Seiten und die von den Seiten eingeschlossenen Winkel eines Vierecks gegeben, kann man aus den Angaben ein eindeutiges Viereck konstruieren. Somit ist swsws ein Kongreunzsatz für Vierecke.[br][br]Auch wenn die Kongruenz von Vierecken nicht im Bildungsplan erwähnt und auch nicht mehr in allen Schulbüchern thematisiert wird, eignen sich Aufgaben zu diesem Thema gut, um zu überprüfen, ob die Schülerinnen und Schüler die Kongruenz von Dreiecken tatsächlich verstanden haben. Die Vorgehensweise bei solchen Aufgaben ist ähnlich wie bei Aufgaben zur Kongruenz von Dreiecken und die Schülerinnen und Schüler können deshalb ihr Wissen vertiefen und auf einen anderen Sachverhalt übertragen.[br][br]Eine Aufgabe zur Kongruenz von Vierecken kann zum Beispiel sein:[br]Ein Viereck hat die Seitenlängen[br] a = 7LE[br] b = 4,5LE[br] c = 6LE[br] d = 5LE.[br]Bewege den Schieberegler [math]\alpha[/math] und stelle damit verschiedene Werte für den Winkel [math]\alpha[/math] ein. Für welche Werte lassen sich kein Viereck, ein eindeutiges Viereck oder mehrere, nicht eindeutige Vierecke erstellen?
Für welche Werte von [math]\alpha[/math] lässt sich ein eindeutiges Viereck konstruieren?
Für welche Werte von [math]\alpha[/math] lassen sich zwei, nicht eindeutige Vierecke konstruieren?
Für welche Werte von [math]\alpha[/math] lässt sich kein Viereck konstruieren?
Die Aufgabe hilft dabei, zu erkennen, wann eine Konstruktion eindeutig ist und hilft auch dabei, das Vorgehen bei einer Konstruktion zu verstehen.
Eine weitere mögliche Aufgabe im Geometrieunterricht ist die Durchführung eines Geometriediktats. [br]Bei einem Geometriediktat handelt es sich um eine Partnerarbeit. Schüler*in A bekommt so viele Angaben eines Dreiecks, sodass dieses eindeutig konstruierbar ist und soll daraus eine Konstruktionsanleitung schreiben. Diese diktiert Schüler*in A Schüler*in B in kleinen Schritten, während Schüler*in B die Konstruktion durchführt. Dabei soll keine Anweisung mehr als zweimal wiederholt werden und Schüler*in B soll die Konstruktionsanleitung nicht sehen.[br][br]Diese Aufgabe bringt viele Herausforderungen für die Schülerinnen und Schüler mit sich:[br][list][*]Eine diktierte Aussage muss von Schüler*in B geometrisch/zeichnerisch umgesetzt werden.[/*][*]Schüler*in A muss zur Entwicklung der Konstruktionsanleitung sehr genau über den Sachverhalt nachdenken. Ein Geometriediktat funktioniert nur dann gut, wenn Schüler*in A sichere Anweisungen geben kann.[/*][*]Schüler*in A muss die Anweisungen sehr präzise und genau formulieren.[/*][*]Schüler*in B muss den Anweisungen genau zuhören und sich sehr konzentrieren.[/*][/list]Bei der Durchführung eines Geometriediktats wird also die Fachsprache und Konzentration der Schülerinnen und Schüler gefördert. Außerdem wird auch die Vorgehensweise beim Konstruieren von Dreiecken und das Schreiben von Konstruktionsbeschreibungen geübt.[br][br]Konstruktionen von Dreiecken können sowohl digital als auch analog durchgeführt werden. Beide Wege bringen Vorteile mit sich:[br][br]Bei digitalen Konstruktionen können die Ausgangsobjekte schnell und einfach variiert werden. So können Zusammenhänge erkannt und ein Sachverhalt anhand von vielen Beispielen überprüft werden. Außerdem ist das Arbeiten mit Kongruenzabbildungen sehr anschaulich möglich. Die konstruierten Figuren sind also im Gegensatz zu Konstruktionen auf dem Papier dynamische Objekte und können frei in der Zeichenebene bewegt werden. Zuletzt ist am Computer auch genaueres Arbeiten möglich, sodass aus den Konstruktionen die fehlenden Angaben der konstruierten Figur (beispielsweise eines Dreiecks) exakt abgelesen werden können.[br][br]Konstruktionen auf dem Papier mit Geodreieck und Zirkel schulen die Schülerinnen und Schüler in ihren haptischen und feinmotorischen Fähigkeiten. Je öfter die Schülerinnen und Schüler mit Geodreieck und Zirkel umgehen, desto besser können sie genaue und sorgfältige Konstruktionen erstellen. Die Schülerinnen und Schüler haben für ihre Konstruktion nur einen Zirkel und ein Geodreieck zur Verfügung, sodass sie lernen die beiden Werkzeuge richtig einzusetzen und sind nicht von der Menge an Werkzeugen die bei digitalen Konstruktionen vorhanden sind, üüberfordert. Außerdem werden bei analogen Konstruktionen die haptische und zeichnerische Ebene verbunden, sodass das Wissen und die Fähigkeiten nachhaltig gelernt werden können.
Obwohl Kongruenz im Bildungsplan nur kurz erwähnt wird, kann man den Begriff auch im Mathematikunterricht auf die Kongruenz von Vierecken erweitern und die Kongruenzsätze für Vierecke behandeln. Im Unterricht zum Thema Kongruenz ist es wichtig, dass die Schülerinnen und Schüler das analoge Konstruieren von Dreiecken üben und somit ihre feinmotorischen Fähigkeiten fördern. Deshalb sollte der Geometrieunterricht auch nicht nur über digitale Werkzeuge stattfinden. Diese können an geeigneter Stelle trotzdem den Unterricht bereichern und interaktiver gestalten.
2006, Lambacher Schweizer Mathematik 4 für Gymnasien Baden-Württemberg, Ernst Klett Verlag, 1. Auflage[br]2014, Lambacher Schweizer Mathematik 9 für Gymnasien Baden-Württemberg, Ernst Klett Verlag, 9. Ausgabe[br]Weigand et al. (2009), Didaktik der Geometrie für Sekundarstufe 1, Springer Spektrum, 2. Auflage[br]Didaktische Prinzipien mathematik lehren (2020), Friedrich Verlag, 223. Ausgabe[url=https://www.bildungsplaene-bw.de/,Lde/LS/BP2016BW/ALLG/GYM/M/IK/9-10/03 ][br]Bildungsplan Baden-Württemberg[/url][br]